Jusos Hessen

#HessenHinten in der Geflüchtetenpolitik – Von Julian Stroh

Die Lage und Unterbringung von Geflüchteten ist katastrophal. Das ist ein Satz, der schon vor Corona galt und während Corona neues Gewicht bekommt. Hessen hält weiterhin an riesigen Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften fest, legt keine Standards für solche fest und schiebt munter ab, obwohl das Virus weltweit grassiert. Zudem weiß niemand wie es in den Sammelunterkünften der Landkreise und kreisfreien Städte genau zugeht und ob Anstandsregeln und Hygienemaßnahmen eingehalten werden können.

 

Allein im Erstaufnahmezentrum des Landkreises Marburg-Biedenkopf in Neustadt waren 116 Menschen mit Corona infiziert. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des hessischen Flüchtlingsrates, welcher im Sommer ein Online-Seminar für die Jusos Hessen zum Thema Asyl in Hessen gegeben hat, berichtet von Küchen oder Toiletten, welche in von 30 bis 50 Geflüchteten gemeinschaftlich genutzt werden. Abstand zu halten oder im generellen auf die Hygiene zu achten sei wenig bis gar nicht möglich. Immer wieder kam es dadurch zu größeren Coronaausbrüchen in Sammelunterkünften. Genaue Zahlen wurden vom Sozialministerium um Herrn Klose nicht erhoben. Die Verantwortung für die Geflüchteten und deren Unterbringung wurde auf die kommunale Ebene abgewälzt, diese ist massiv mit der Bewältigung der Coronapandemie überlastet, weil sie auch in anderen Belangen von Schwarzgrün im Stich gelassen wird.

 

Schwarzgrün hat im November ein neues Landesaufnahmegesetz beschlossen. Dieses regelt zwar wie die Geflüchteten untergebracht werden sollen, aber legt keine Standards für eine menschenwürdige Unterbringung fest. Hierzu gebe ich euch ein Beispiel aus meinem Heimatdorf. Im ehemaligen Wohnhaus meiner Großtante befindet sich eine Sammelunterkunft, im Erdgeschoss des Hauses hat sie zu Lebzeiten einen Tante-Emma-Laden betrieben. Die große Ladenscheibe wurde entfernt, eine Mauer mit zwei Fenstern darin hochgezogen, wenn überhaupt spärlich gedämmt, denn bevor die Hauswand gestrichen wurde, sah man das blanke Mauerwerk und nun wohnt dort eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern sowie eine junge fußkranke Frau. Über den Daumen gepeilt leben diese vier Menschen auf ca. 35 Quadratmetern. Die Toilette, die von meiner Großtante dort genutzt wurde, würde bei einer Gewerbeanmeldung wahrscheinlich nicht mehr genehmigt werden, der unfreiwilligen Wohngemeinschaft bietet sie wahrscheinlich heute noch „das stille Örtchen“. Wo eine Dusche entstanden sein könnte, kann ich nicht beurteilen und ob es eine auf dieser Etage gibt, bezweifle ich. Das Gebäude hat jetzt drei bewohnte Etagen, ein kleines Badezimmer mit Dusche und Badewanne gab es zumindest früher nur im ersten Stock.

 

Aber nicht nur diesen Menschen geht es schlecht: Gemeinschaftsunterkünfte werden häufig gesetzlich erzwungen. Grund dafür ist die sogenannte Wohnsitzauflage, welchen anerkannten und geduldeten Asylsuchenden die freie Wohnsitzwahl verwehrt, sofern sie denn von Sozialleistungen leben. Bis zum November 2020 wurden 7.337 Asylanträge gestellt. Zwei Drittel der Antragsteller:innen leben in Sammelunterkünften. Eigentlich soll die Wohnsitzauflage die Ballungsräume entlasten, bewirkt hier aber das genaue Gegenteil, da die Leute zum Beispiel auch im Rhein-Main-Gebiet nicht wegziehen können, weil die Miete nicht selbst erbringen können und somit an die Sammelunterkünfte gebunden sind. Die Geflüchteten werden also bewusst zusammengepfercht, statt sie coronakonform dezentral unterzubringen.

 

So misslich die Lage dieser Leute klingt, sie sind wahrscheinlich noch dankbar darüber, dass sie überhaupt hier verweilen dürfen, denn Schwarz-Grün schiebt fleißig ab, obwohl wir uns in einer weltweiten Pandemie befinden. Im September wurde ein aus Guinea stammender 19 jähriger Schüler von der Schule abgeholt, aber nicht von Freunden oder seiner Familie: er wurde in Abschiebehaft genommen, obwohl Schwarz-Grün vereinbart hatte, dass man niemanden mehr direkt aus Schul- oder Pflegeeinrichtungen abholen wolle. Dies sei nach Ansicht des Innenministeriums nicht geschehen, schließlich habe sich der Schüler auf dem Außenbereich des Schulgeländes befunden. Der Schüler sollte nach Spanien zurückgeführt werden, schließlich sei für Spanien trotz damaliger stark steigender Coronafallzahlen kein Rückführungsstopp verhängt worden.

 

Von Januar bis Oktober 2020 sollten insgesamt 1.216 Menschen abgeschoben werden, wovon 564 Vorhaben scheiterten. Diese rigorose Vorgehensweise trotz der weltweiten Pandemie ist bezeichnend für die Willkommenskultur in Hessen, schließlich ist man Hesse, sofern man es sein möchte, um Georg August Zinn frei zu zitieren. Erst am 12.01 wurden Menschen von Düsseldorf aus mit Beteiligung Hessens nach Afghanistan abgeschoben, während es Landkreise in Deutschland gibt, in denen man sich nicht 15 Kilometer von seinem Wohnort aus wegbewegen darf. Transparenz über diese Abschiebungsmission gibt es übrigens nicht. Die erste aufschlussreiche Quelle, die ich hierzu fand, war die Homepage des bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführung.

 

Auf der Internetseite des hessischen Sozialministeriums hingegen findet man überdies auf dem Reiter zum Thema Asyl Informationen zur Förderung zur freiwilligen Rückführung noch vor dem sogenannten „Refugee Guide“, einem Leitfaden mit Benimmregeln in Deutschland und über die herrschende Leitkultur, welcher an letzter Stelle steht und was wieder verdeutlicht und sinnbildlich dafür steht, dass Hessen auch in Asylfragen hinten ist.

Junge Sozialisten in der SPD